2. Söhne mit Vätern

Künstler*innen sind bekanntlich viel beschäftigte Menschen. Der kreative Schaffensdrang, der Erfolg, die Teilnahme am zeitgenössischen Diskurs lassen ihnen oft wenig Zeit für ihre Kinder. Das gilt erst recht für die männlichen Künstler, zu deren Rollenbild es noch nicht gehörte, sich regelmäßig mit den Kindern zu beschäftigen und sie zu umsorgen. In den linksintellektuellen Kreisen der 68er-Bewegung galt das private Leben in der Kleinfamilie überdies schon fast als Auslaufmodell, das dem fortschrittlichen Denken vom Umbau der Gesellschaft widersprach. Zwei auf dem Münchner DOK.fest 2025 gezeigte Filme stammen von Söhnen, die keine richtige Beziehung zu den Vätern aufbauen konnten, weil es diesen an Zeit und Interesse fehlte. Ein solcher Blickwinkel mutet immer noch ungewohnt, aber in der gesellschaftlichen Analyse von Vater-Kind-Verhältnissen überfällig an.

Friendly Fire“: Auf den Spuren Erich Frieds

Klaus Fried ist der 1969 geborene Sohn des berühmten, 1988 verstorbenen Dichters und Linksintellektuellen Erich Fried. In seinem Dokumentarfilm „Friendly Fire“, realisiert von Julia Albrecht, nähert er sich im Gespräch mit Geschwistern, älteren Familienangehörigen und Weggefährt*innen Erich Frieds dem Vater und seiner Epoche an. Er selbst fühlte sich vom Vater nicht wirklich gesehen. Dass er gerne zeichnete, habe der Vater erst erstaunt bemerkt, als er 18 Jahre alt war, erzählt er im Film.

Fritz Litzmann, mein Vater und ich“ über Rainer Pause

Aljoscha Pause ist der 1972 geborene Sohn des Kabarettisten Rainer Pause, der das seit Jahrzehnten renommierte Kabaretttheater Pantheon in Bonn gründete und betreibt. In „Fritz Litzmann, mein Vater und ich“ schildert der Regisseur Aljoscha Pause nicht nur den Werdegang Rainer Pauses, sondern setzt sich auch mit seiner eigenen, einsamen Kindheit und Jugend im Schatten dieses Vaters auseinander. Fritz Litzmann heißt die Bühnenfigur, die Rainer Pause geschaffen hat und spielt.

DOK.fest München "Friendly Fire" © H U Film
Klaus Fried in „Friendly Fire“

Holocaust, Studentenrevolte und danach

Beide Filme schlagen einen weiten Bogen durch die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und zeigen auf, wie sehr das Leben der Väter von den Zeitläuften geprägt war. Klaus Fried erforscht im Gespräch mit Angehörigen, wie Erich Fried in Wien in einer jüdischen Familie aufwuchs. Die Gestapo ermordete seinen Vater auf grausame Weise, die Großmutter starb im Konzentrationslager. Mit 17 Jahren gelang es Erich Fried, nach London zu emigrieren, wo er fortan lebte. Klaus Fried sagte auf dem DOK.fest München im Gespräch mit dem Publikum, dass der Vater das tiefe Trauma des Holocaust nie habe überwinden können und es somit weitervererben musste. Erich Fried wurde Aktivist der 68er-Bewegung, war mit Rudi Dutschke befreundet. Berühmt wurde Erich Fried nicht nur für seine Gedichte, von denen viele im Film rezitiert werden, sondern auch für seine politischen Stellungnahmen. Als Humanist suchte er den Dialog. Klaus und seine älteren Geschwister erinnern sich an die vielen Besucher*innen aus Deutschland in der Londoner Wohnung, zu denen auch Leute aus der sich gerade herausbildenden Terrorgruppe RAF zählten.

DOK.fest München "Fritz Litzmann, mein Vater und ich" © Mindjazz Pictures
Aljoscha und Rainer Pause in „Fritz Litzmann, mein Vater und ich“

Leerstellen und Traumata

Aljoscha Pause spricht ebenfalls mit vielen Weggefährt*innen des Vaters Rainer Pause und interessiert sich auch für dessen Elternhaus. Dort wurde über den Holocaust geschwiegen, die Atmosphäre war kühl und Rainer Pause ging früh fort, um sein Glück abseits des Familienlebens zu suchen – in der 68er-Bewegung, am Studententheater, im Kabarett. Dass er den Sohn, der nach der Trennung der Eltern beim Vater blieb, die meiste Zeit allein ließ, fand er im Gegensatz zum Kind nicht schlimm. Kinder nicht in ihrer Freiheit einzuschränken, galt vielen linksintellektuellen Eltern damals als richtig und wünschenswert. Erst jetzt, im Gespräch mit Aljoscha Pause, kann der Vater auch seine Irrtümer und Versäumnisse reflektieren.

Die Sehnsucht stillen

Beide Söhne würdigen die künstlerische, berufliche Leistung ihrer Väter, lassen sie in den Schilderungen von Kolleg*innen, Freund*innen und aus dem privaten Umfeld wieder aufblühen. Aljoscha Pause setzt sich deutlich intensiver mit seiner Kindheit und Jugend auseinander. Anders als Klaus Fried kann er allerdings auch noch mit dem Vater sprechen, ihm Fragen stellen. Beide Söhne zeigen ihre ungestillte Sehnsucht nach dem Vater, den sie zu wenig kannten. Aber sie drücken trotzdem ihre Zuneigung und ihren Stolz auf die Väter aus. Das verleiht diesen zeitgeschichtlich interessanten Dokumentarfilmen, – so verschieden sie in ihrer emotionalen Intensität auch sind – eine berührende persönliche Note.

Ein Beitrag von Bianka Piringer

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